Interview mit Dr. Thomas Jackwerth-Rice
Wie entstehen neue Technologien? Das Buch The Praxis of Collaborative Innovation zeigt: Nicht durch starre Pläne, sondern durch geteilte soziale Praxis. Am Beispiel der Windenergiebranche analysiert der Autor Dr. Thomas Jackwerth-Rice, wie Innovationsprozesse durch soziale Normen, Standards und Machtkonstellationen gestaltet – oder blockiert – werden. Für mehr Einblicke in das Thema unterhielt sich unser Verlag mit dem Autor:
Ihr Buch zeigt, dass gemeinsame Arbeitsnormen entscheidend für erfolgreiche Innovation sind. Wie entstehen solche Normen in der Praxis – und warum sind sie so wirksam?
„Arbeitsnormen sind keine ‚gemeinsamen‘ Regeln im psychologischen Sinn, sondern strukturieren Erwartungen. Sie entstehen dort, wo sich die Mitglieder wiederholt auf geteilte Zeitstrukturen, Kommunikationskanäle oder Qualitätsvorstellungen einigen, aber auch Strategien und Vorgehensweisen entwickeln oder Abweichungen sanktionieren. In erfolgreichen Projekten wirken sie wie ein Erwartungsanker, etwa in Form von Meilensteinen, Lastenheften oder SPOC-Kanälen. Gerade bei radikalen Innovationen ist der Fokus auf gemeinsame Arbeitsstandards ein wirksamer und flexibler Ansatz, um Koordinationskosten zu reduzieren und Vertrauen zu schaffen. Das Besondere an Arbeitsstandards ist, dass sie nicht top-down verordnet werden können, sondern durch Praktiken entstehen. Sie werden sukzessive in Prüfprozessen oder Feedbackschleifen etabliert. Ihre Wirksamkeit liegt in ihrer Doppelfunktion. Sie ermöglichen Wissensintegration, also die Kombination von Spezialwissen aus verschiedenen Kontexten, und erleichtern Kommunikation zwischen Organisationen, auch unter Unsicherheit.“
Sie analysieren institutionelle Barrieren in kollaborativen Innovationsprojekten. Welche Hürde hat Sie in Ihrer Forschung besonders überrascht – und warum?
„Mich überraschte, dass selbst in hochkomplexen Technikfeldern die zentralen Innovationsbarrieren eher im Sozialen als im Technischen liegen. Ein Beispiel hierfür ist, wenn OEMs ihre interdependenten Komponentenlieferanten systematisch voneinander abschotten und dadurch Lernen verhindern, obwohl eine technische Optimierung des Gesamtsystems Windenergieanlage eher eine kollektive Koordination erfordern würde. Dies widerspricht den Vorstellungen von ‚Open Innovation‘.
Mich überraschte auch die hohe Abhängigkeit mancher Innovation von Einzelpersonen. In einem Fall wurde die Geschwindigkeit des Genehmigungsverfahrens maßgeblich von einer Person beeinflusst. So hing die Genehmigung maßgeblich von der Reputation eines Professors ab, der sich in der Holzbaubranche bereits einen Namen für anspruchsvolle Holzverbindungen gemacht hatte. Systematische Materialprüfungen führten dagegen nicht zum Erfolg, da die Ergebnisse nicht verlässlich erschienen. Diese personalisierte Legitimation von Innovation widerspricht den institutionellen Theorien rationaler Entscheidungsfindung.“
Viele Innovationsstrategien setzen auf Planung und Kontrolle. Was entgegnen Sie Praktiker:innen, die sich auf „starre“ Managementmethoden verlassen?
„Ich würde es verkürzt so sagen: Planung ist notwendig, solange sie kontingenzfähig bleibt – also das ‚Es geht auch anders‘ nicht von Beginn an ausschließt. Zu starke Kontrollen unterschätzen jedoch die soziale Komplexität. Zwar steigern Kontrollen von Kooperationspartnern oder technischen Standards die Effizienz, reduzieren das Risiko von Wissensverlust und sichern die Qualität, aber sie verhindern auch Überraschungen. Eine starre, lineare Planungslogik erstickt die Innovationskraft. Dies ist besonders der Fall, wenn Innovationen allein über Projektbudgets, Zielkosten oder Prüfprozesse gesteuert werden. Technologien, die etablierte Architekturen infrage stellen, brauchen insbesondere Feedbackschleifen – auch mit Prüforganisationen, nicht nur Gantt-Charts. Wer wirklich innovativ sein will, braucht kein starres Modell, sondern ein reflexives, strategisch offenes Vorgehen, das auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit setzt. Adaptive Formate wie Scrum oder Prototyping sind valide Ansätze. Sie müssen jedoch weiterentwickelt werden.“
Was können politische Entscheidungsträger:innen aus Ihrer Analyse für die Förderung nachhaltiger Technologieprojekte konkret mitnehmen?
„Es ist nicht nur wichtig, dass Politik Innovation fördert, sondern auch, dass sie den Innovationsprozess strukturell entlastet. Statt eines linearen Innovationsverständnisses braucht es eher das, was als ‚regulatory co-design‘ verstanden wird, bei dem es um die gemeinsame Gestaltung von technischen Standards und deren Anwendung durch verschiedene Akteure geht. Unternehmen, die aufgrund neuer Technologien ganze Architekturen in Frage stellen, sollten frühzeitig auf die Normierung der neuen technischen Standards Einfluss nehmen können. Dies würde dazu beitragen, Reibungsverluste im Innovationsprozess zu reduzieren und die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Lösungen nicht an Genehmigungshürden scheitern. Teilweise konnte ich solche Strukturen kennenlernen, mit denen die Anforderungen der Offshore-Windenergie besser simuliert werden können. Solche Strukturen sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung.“
Das Gespräch mit Dr. Jackwerth-Rice verdeutlicht, dass Innovation mehr ist als technische Entwicklung: Sie lebt von sozialen Prozessen, geteilten Standards und kooperativen Strukturen. Sein Buch bietet dafür eine fundierte Analyse – und Anregungen für Praxis, Wissenschaft und Politik.