Argument Mining im Zivilprozess

17.11.2025

Argument Mining im Zivilprozess

Header für das Thema Digitalrecht. Zu sehen ist der Autor Dr. John-Markus Maddaloni vor einem blauen Himmel mit weißen Wolken.

von Dr. John-Markus Maddaloni

Die Ziviljustiz in Deutschland steht vor erheblichen Herausforderungen: Die Arbeitslast der Gerichte wächst, und die durchschnittliche Dauer von Zivilprozessen nimmt zu. Gleichzeitig hinkt die Digitalisierung der Justiz der Rechtsberatung hinterher, was zu einem technologischen Ungleichgewicht führt. Ein vielversprechender Ansatz zur Bewältigung dieser Problematik ist Argument Mining (AM).
 
AM befasst sich mit der automatisierten Analyse von Argumenten in Texten und konzentriert sich unter anderem auf die Extraktion von Thesen und Prämissen sowie die Identifizierung ihrer Beziehungen zueinander, um die argumentative Struktur zu erfassen. Dies könnte Zivilrichtern wertvolle Unterstützung bei der Rechtsfindung bieten, indem es den Parteivortrag effizient strukturiert, zur Beschleunigung der inhaltlichen Erschließung beiträgt und damit die durchschnittliche Dauer von Zivilprozessen verkürzt.
 
Anders als das „Basisdokument“ würde ein AM-System Anwälten keine feste Struktur für ihre Schriftsätze aufzwingen, sondern den Vortrag in seiner ursprünglichen Form analysieren. So bliebe den Parteien die Gestaltungsfreiheit ihrer Schriftsätze gewahrt, während gleichzeitig die relationstechnische Arbeit der Richter erleichtert würde. Dies könnte der Ziviljustiz helfen, komplexe und umfangreiche Fallakten schneller und präziser zu erfassen.

Rechtliche Hürden bei der Erforschung eines Argument-Mining-Systems

Die Entwicklung eines praxistauglichen AM-Systems erfordert den Zugriff auf echte Anwaltsschriftsätze aus Zivilprozessen. Die Nutzung dieser Schriftsätze zu Trainingszwecken unterliegt jedoch derzeit nicht unerheblichen rechtlichen Hürden:

  • Datenschutz: Anwaltsschriftsätze enthalten personenbezogene Daten, deren Verarbeitung der DSGVO unterliegt. Problematisch ist, dass die DSGVO zumindest keine sichere Grundlage für die Verarbeitung der nötigen, erheblichen Menge von personenbezogenen Daten bietet und die Zulässigkeit einer Zweckänderung der Datennutzung rechtlich auf unsicheren Beinen steht. Mögliche Lösungsansätze, wie z.B. die Nutzung vollständig anonymisierter Daten oder nur rechtsgebietsspezifische Datenverwendung könnten jedoch zu starken Beeinträchtigungen eines effektiven KI-Trainings führen.
  • Urheberschutz: Weiterhin können Anwaltsschriftsätze urheberrechtlich geschützt sein. So enthält das UrhG Schrankenregelungen für das Text und Data Mining (TDM) zu allgemeinen oder wissenschaftlichen Zwecken. Der notwendige rechtmäßige Zugang zu den Werken, den diese Schranken erfordern, dürfte zwar für Justiz und Forschung erfüllt sein. Jedoch müssten deren Interessen die der Anwälte als Urheber nach dem „Drei-Stufen-Test“ überwiegen. Zudem dürften die Anwälte nicht von ihrem Nutzungsvorbehalt Gebrauch machen, was auch nachträglich möglich wäre und so Unsicherheiten schafft.
  • Geheimnisschutz: Außerdem unterliegen Anwaltsschriftsätze aufgrund von sensiblen Daten oft verschiedenen Geheimnisschutzregelungen. Während das Amtsgeheimnis für Justizbehörden, das GeschGehG oder auch der Daten-Governance-Rechtsakt keine wirklichen Hürden darstellen, sind die Regelungen in Bezug auf das Mandatsgeheimnis deutlich problematischer. Im Zusammenspiel mit uneinheitlichen Landesregelungen, die von einem Verbot der Weitergabe bis zu einer zulässigen Weiterverarbeitung reichen, ergibt sich hier ein „Flickenteppich“, der die Forschung vor Probleme, wie z.B. die geografische Verzerrung der Datengrundlage führt.

Ansätze zur Weiterentwicklung des Rechtsrahmens für Ziviljustizdaten

Die Analyse zeigt die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des Rechtsrahmens, um die Sekundärnutzung von Ziviljustizdaten für die Forschung zu erleichtern. Eine solche Erleichterung könnte in der Schaffung einer spezifischen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung großer Datenmengen oder der Schaffung eines „Justizdatenzentrums“, das Forschern Daten in sicheren Verarbeitungsumgebungen bereitstellt, liegen.

Dr. John-Markus Maddaloni ist Associate in der Kanzlei Freshfields in Düsseldorf. Seine Dissertation hat er an der Universität Passau unter der Betreuung von Prof. Dr. Riehm verfasst. Sein Werk „Argument Mining im Zivilprozess. Hürden im Datenschutz-, Urheber- und Geheimnisschutzrecht bei der Erforschung eines künstlich intelligenten Systems für Zivilrichter“ erscheint in Kürze in der Reihe „Datenrecht und neue Technologien“ im Nomos Verlag.