Methoden der KI im Zivilprozess – im Spannungsfeld von technologischem Fortschritt und Rechtsstaatsprinzipien

25.08.2025

Methoden der KI im Zivilprozess – im Spannungsfeld von technologischem Fortschritt und Rechtsstaatsprinzipien

Zu sehen ist der Header zum Praxisnewsletter Digitalrecht mit dem Autor Dr. Yannek Wloch

Von Dr. Yannek Wloch

Der Zivilprozess steht im Zeichen struktureller Veränderungen. Im Zuständigkeitsbereich der Amtsgerichte ist ein deutlicher Rückgang der Verfahrenszahlen zu beobachten. Parallel dazu gewinnen digitale Angebote zur außergerichtlichen Streitbeilegung an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund werden verschiedene Reformansätze des Zivilprozesses diskutiert, welche die Geltendmachung kleiner und mittlerer Forderungen erleichtern sollen. Sollten diese Reformen Erfolg haben, stellt sich die Frage, wie die Justiz mit den begrenzten personellen Ressourcen auf eine potenziell steigende Fallzahl reagieren kann.
 
Vor diesem Hintergrund richtet sich der Blick auf digitale Unterstützungsinstrumente. Von besonderem Interesse ist dabei der mögliche Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) im gerichtlichen Verfahren. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit Systeme entwickelt werden können, die rechtliche Entscheidungen vorhersagen oder bei der Strukturierung komplexer Sachverhalte unterstützend wirken. Welche Anforderungen müssten solche Systeme erfüllen, um eine tatsächliche Entlastung zu ermöglichen und dabei rechtsstaatlichen Maßstäben zu genügen?

Sprache als Ausgangspunkt automatisierter Rechtsverarbeitung

Die Herausforderung liegt nicht zuletzt in der engen Verbindung zwischen Sprache und Recht. Rechtsanwendung erfolgt über sprachlich formulierte Normen, deren Interpretation kontextabhängig und wertungsbasiert ist. Systeme, die rechtlich relevante Informationen verarbeiten sollen, müssen daher in der Lage sein, natürliche Sprache in ihrer strukturellen und semantischen Komplexität zu erfassen. In der aktuellen Diskussion treten hierbei insbesondere Verfahren des maschinellen Lernens in den Vordergrund. Diese versprechen Fortschritte, werfen aber zugleich weitere Fragen nach Transparenz, Kontrollierbarkeit und Integration rechtlichen Vorwissens auf.

Verfassungsrechtliche Grenzen

Die Integration Künstlicher Intelligenz in gerichtliche Entscheidungsprozesse wirft grundlegende verfassungsrechtliche Fragen auf. Der Einsatz technischer Systeme im Zivilprozess berührt insbesondere die verfassungsrechtlich garantierte richterliche Unabhängigkeit sowie das Verständnis vom Richteramt als Ausübung staatlicher Entscheidungsbefugnis.
 
Von zentraler Bedeutung sind in diesem Zusammenhang etwaige Auswirkungen solcher Systeme auf das Prinzip des gesetzlichen Richters, die Anforderungen an das rechtliche Gehör sowie die Möglichkeit der Nachvollziehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen. Darüber hinaus ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen ein technologiebasierter Entscheidungsvorschlag überhaupt in ein rechtsstaatliches Verfahren eingebettet werden kann.
 
Auch das Spannungsverhältnis zwischen Systemeffizienz und Verfahrensgerechtigkeit tritt in den Vordergrund: Welche technischen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um die Unabhängigkeit richterlicher Entscheidungen zu gewährleisten? Welche Anforderungen ergeben sich an die Transparenz und Erklärbarkeit der Systeme, damit deren Einsatz verfassungsrechtlich legitimierbar bleibt? Und welche Formen der Kontrolle könnten geeignet sein, technologische Innovationen mit rechtsstaatlichen Prinzipien in Einklang zu bringen?
 
Die Dissertation des Verfassers widmet sich möglichen Antworten auf diesen Fragenkatalog mit einem besonderen Fokus auf die technischen, konzeptionellen und rechtlichen Anforderungen.

Dr. Yannek Noah Wloch ist Director of Legal Operations bei Libra, einem Legal Tech-Unternehmen, das KI-gestützte Lösungen für juristische Arbeitsprozesse entwickelt. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bucerius Law School sowie Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin. Frühere berufliche Stationen führten ihn u.a. zur Flightright, wo er an datenbasierten Verfahren zur rechtlichen Bewertung gleichgelagerter Fälle im Bereich der Fluggastrechte mitwirkte. Seine Dissertation „Methoden der Künstlichen Intelligenz im Zivilprozess – Der Einsatz von Entscheidungsvorhersage- und Entscheidungsunterstützungssystemen zur Schonung justizieller Ressourcen“ erscheint in Kürze im Nomos Verlag.