Kindeswohl im Nachwuchsleistungssport

29.10.2025

Kindeswohl im Nachwuchsleistungssport

Header des Newsbeitrages zum Sportrecht. Zu sehen ist eine Rennbahn auf orangenem Grund. Im Vordergrund ist die Autorin Johanna Firsching zu sehen.

Von Johanna Firsching

Die Teilnahme junger Athleten am (Hoch-)Leistungssport ist seit jeher ein grundlegender Bestandteil des Systems des organisierten Sports. Doch diverse Vorfälle, öffentliche Diskurse und Forschung zeigen: Neben Chancen bestehen erhebliche Risiken für die körperliche und seelische Unversehrtheit minderjähriger Leistungssportler, die lange Zeit deutlich zu wenig Beachtung fanden. Aus familien- und sportrechtlicher Perspektive stellen sich daher mit Blick auf das verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich geregelte Kindeswohlprinzip insbesondere folgende Fragen: Ist hier das Kindeswohl gefährdet? Und welche Rolle kommt dem Staat im Spannungsfeld zwischen den (Grund-)Rechten der minderjährigen Athleten, der elterlichen Sorge und der verfassungsrechtlich verankerten Vereins-/Verbandsautonomie zu?

Kindeswohlgefährdung?

Diese Fragen drängen sich nicht ohne Weiteres auf. Denn grundsätzlich ist es den privaten Akteuren – zuvorderst den minderjährigen Athleten, ihren Erziehungsberechtigten sowie den Vereinen und Verbänden – selbst überlassen, ihre Rechtsbeziehungen im Rahmen der Privatautonomie auszugestalten. Doch muss nicht der Staat eingreifen, wenn das Wohl der minderjährigen Sportler gefährdet ist und weder der Sport noch die Eltern in der Lage oder gewillt sind, die Gefahr abzuwenden?
 
Zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Kindeswohlgefährdung können aktuelle Forschungserkenntnisse aus der Medizin, Psycho-Soziologie und Pädagogik herangezogen werden. Diese zeigen auf, dass gewichtige Risiken und Gefahren bestehen, die je nach Alter, Sportart und vorhandenen Schutzfaktoren mit unterschiedlichen Prävalenzraten auftreten. Zu nennen sind insbesondere die entwicklungsbedingten körperlichen und seelischen Verletzungen resp. Krankheiten sowie Überforderung, Ausbeutung und sexualisierte, physische und psychische Gewalt. Das Vorliegen dieser Indizien im Einzelfall lässt die tatsächliche Vermutung einer Kindeswohlgefährdung zu.
 
Einige Sportverbände und -vereine haben bereits reagiert und Konzepte verabschiedet, um ihrer Verantwortung zum Schutz der minderjährigen Athleten innerhalb ihres Zuständigkeits- und Einflussbereichs nachzukommen. So haben der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und die deutsche Sportjugend (dsj) im Jahr 2018 jeweils ein Stufenmodell zur Prävention von Gewalt beschlossen. Hervorzuheben ist zudem der im Rahmen eines Stakeholder-Prozesses erarbeitete und im Oktober 2024 veröffentlichte Safe Sport Code (SSC) des DOSB – ein Muster-Regelwerk gegen interpersonale Gewalt und ein Meilenstein im Sport.
 
Was aber, wenn diese Maßnahmen nicht genügen und weder die Eltern noch der organisierte Sport in der Lage sind, den erheblichen Gefahren für das Kindeswohl wirksam entgegenzuwirken und Abhilfe zu schaffen? Liegt die Lösung in staatlicher Regulierung?

Gründung einer unabhängigen Agentur als Ausprägung der staatlichen Schutzpflicht

Bei Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung ist staatliches Eingreifen nicht nur eine Option, sondern aufgrund des verfassungsrechtlich normierten staatlichen Wächteramtes Pflicht. Es braucht hier folglich verhältnismäßige Maßnahmen gegenüber den Eltern und dem Sport sowohl für den Einzelfall als auch systembezogen auf politischer Ebene.
 
Die Politik hat bereits begonnen, dieser Schutzpflicht Rechnung zu tragen: Nebst Befürwortung des SSC hat die Ampel 2021 den Aufbau eines Zentrums für Safe Sport (ZfSS) zur Bekämpfung von Gewalt im Sport in den Koalitionsvertrag aufgenommen, welches langsam Formen annimmt.
 
Da Gewalterfahrungen im Sport aber keinesfalls das einzige Risiko für das Kindeswohl darstellen, wird nach Vorbild der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA) für eine unabhängige, umfassende Kindesschutzagentur oder (im Einklang mit der internationalen Handhabe) gar eine übergeordnete Integritätsagentur zur Bearbeitung aller Integritätsfragen im Sport plädiert, ebenso für eine auf „Gewaltenteilung“ basierende Zusammenarbeit von Sport, Staat und unabhängigem Akteur.

 

 

Johanna Firsching ist Rechtsanwältin im Sportrecht bei LENTZE STOPPER in München und promovierte an der Universität Regensburg (Prof. Dr. Martin Löhnig) zu dem Thema „Kindeswohl im Nachwuchsleistungssport“. Ihr Werk erscheint in Kürze im Nomos Verlag in der Schriftenreihe Schriften zum Sportrecht