NOESIS Schlaglichter – Beten mit Habermas?

12.12.2025

NOESIS
Schlaglichter – Beten mit Habermas?

Zu sehen ist ein Banner vom Newsletter Noesis mit dem Philosophen Jürgen Habermas

Von Martin Hähnel

Es passiert nicht alle Tage, dass im oft auf Masse getrimmten wissenschaftlichen Verlagsgeschäft ein kleiner und unscheinbarer Text wie der „Geburtstagsgruß“ des international wohl bekanntesten aktuell lebenden deutschen Philosophen Jürgen Habermas eine derartige Wirkung entfaltet (allein die FAZ hat bereits zweimal darüber berichtet: Habermas warnt Theologen: Soll man denn jetzt auf „Sakramente light“ setzen?; Jürgen Habermas warnt vor einer Verflachung des christlichen Glaubens). Was macht diesen Text indes so besonders?

Wie der Titel schon sagt, handelt es sich bei dem Text um einen „Gruß“ an den Jubilar Prof. Thomas Schmidt, Religionsphilosoph an der Uni Frankfurt, der im Rahmen einer Festschrift geschrieben wurde und erschienen ist. Die Überlegungen von Habermas, dem prominentesten Ausrufer eines nachmetaphysischen Zeitalters, stellen allerdings keine bloße akademische Pflichtübung oder Höflichkeitsgeste unter Kollegen dar, sondern setzen sich ernsthaft mit der Frage auseinander, wie eine religiöse Existenzweise heute noch möglich sein bzw. philosophisch plausibel gemacht werden könne. In der aktuellen akademischen Theologie scheint Habermas indes nicht fündig zu werden, wenn es um die Rechtfertigung einer Lebensform geht, die auf den theologischen Tugenden von Glauben, Liebe und Hoffnung gründe. Vielmehr sieht er in der aktuellen Theologie ernstzunehmende Anzeichen dafür, dass das dispositum fidei immer mehr zugunsten eines merkwürdigen individualistischen Glaubensverständnisses preisgegeben werde, das als ekstatische Erfahrung, welcher man übrigens ansieht, dass sie ihr ursprüngliches Feuer schon verloren habe, rekonstruiert wird.

Sicherlich dienen diese kurzen Aussagen von Habermas nicht dazu, um den Vater des herrschaftsfreien Diskurses plötzlich als fromm gewordenen Apologeten der traditionellen Glaubensbestände des Christentums zu verstehen. Vielmehr erkennt Habermas hier hellsichtig, welchen unbedingten Wert es hat, Glauben und Religion als etwas zu verstehen und zu explizieren, das nicht so einfach in Anführungszeichen gesetzt werden kann und sollte.

Unser Autor

PD Dr. Martin Hähnel ist Programmverantwortlicher des Verlages Karl Alber und Privatdozent am Institut für Philosophie der Universität Bremen.

 

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