Neue EU-Produkthaftungsrichtlinie (ProdHaftRL-E)

07.06.2023

Neue EU-Produkthaftungsrichtlinie soll den Anforderungen der digitalen Wirtschaft gerecht werden

Ein Gastbeitrag von Dr. Christian Piovano für unseren Praxis-Newsletter Product Compliance

Beitrag von Dr. Christian Piovano

Die Europäische Kommission hat einen Entwurf für eine revidierte Produkthaftungsrichtlinie vorgelegt, die die derzeitige Fassung aus dem Jahr 1985 (RL 85/374/EWG) ersetzen soll. Die Produkthaftungsrichtlinie setzt den europäischen Rechtsrahmen für die verschuldensunabhängige Haftung für Schäden, die durch fehlerhafte Produkte verursacht werden. Im Einzelnen sind folgende Neuerungen und Besonderheiten hervorzuheben:

Erweiterung des Produktbegriffs

Der Produktbegriff wird auf Software und digitale Produktionsdateien einschließlich künstlicher Intelligenz (KI)-Systeme ausgeweitet, Art. 4 ProdHaftRL-E. Dies ist eine Klarstellung und vereinfacht die Diskussion, ob Software als „bewegliche Sache“ unter den Produktbegriff subsumiert werden kann.

Neue Anspruchsgegner

Der Kreis potenzieller Anspruchsgegner für fehlerhafte Produkte wird um Bevollmächtigte des Herstellers und Fulfillment-Dienstleister erweitert. Unternehmen, die ein Produkt wesentlich verändern, haften außerdem gleich einem Hersteller, wenn das veränderte Produkt fehlerhaft ist und einen Schaden verursacht. Betreiber von Online-Marktplätzen können für fehlerhafte Produkte, die über ihre Plattformen verkauft werden, in gleicher Weise wie Händler haften. Online-Plattformen, die nach Antrag des Klägers umgehend einen relevanten Wirtschaftsakteur mit Sitz in der EU ermitteln, der stattdessen haftbar gemacht werden soll, können der Haftung allerdings entgehen, Art. 7 ProdHaftRL-E.

Neuerungen bei der Fehlerhaftigkeit von Produkten

Ob ein Produkt fehlerhaft ist, hängt auch in Zukunft davon ab, ob es den berechtigten Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Verbrauchers entspricht. Künftig sind aber auch Aspekte wie die Anforderungen an die Cybersicherheit des Produkts und behördliche Eingriffe in die Produktsicherheit zu berücksichtigen. So kann die Fehlerhaftigkeit eines Produkts beispielsweise auch darin bestehen, dass Software-Updates fehlen, die notwendig wären, um Schwachstellen bei der Cybersicherheit des Produkts zu beheben, Art. 6 ProdHaftRL-E.

Erweiterung der Beweiserleichterungen für Geschädigte

Neu ist, dass sich der Anspruchsteller auf eine widerlegbare Tatsachenvermutung für die Fehlerhaftigkeit des Produktes und den Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Schaden berufen kann, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Erstens muss die Beweisführung für den Kläger „aufgrund der technischen oder wissenschaftlichen Komplexität übermäßig schwierig“ sein. Zweitens muss der Kläger auf „Grundlage hinreichender Beweise nachgewiesen“ haben, dass zum einen das Produkt wahrscheinlich fehlerhaft war und zum anderen der Fehler wahrscheinlich den Schaden verursacht hat, Art. 9 ProdHaftRL-E.

Offenlegungsbeweis

Völlig neu ist die Einführung einer Offenlegungspflicht des Beklagten für Beweismittel. Diese greift allerdings nur dann, wenn der Kläger ausreichende Tatsachen und Beweise vorlegt, um den Schadenersatzanspruch plausibel zu machen. Gerichte müssen allerdings geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Vertraulichkeit von Unternehmensgeheimnissen zu wahren, Art. 8 ProdHaftRL-E.

Einschränkung der Haftungsfreistellung

Die Haftung des Herstellers ist nicht mehr prinzipiell ausgeschlossen, wenn sein Produkt zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens fehlerfrei war. Er soll nun vielmehr auch haften, wenn ein Produktfehler nach dem Inverkehrbringen bspw. auf Software zurückzuführen ist, die unter der Kontrolle des Herstellers steht, insbesondere wenn der Hersteller notwendige Software-Updates versäumt hat.

Fazit

Obwohl die Aktualisierung der Produkthaftungsrichtlinie überfällig ist, bleiben noch einige unbestimmte Begrifflichkeiten offen, die es auszufüllen gilt. Entlastungen für die Industrie sind nicht erkennbar. Vielmehr sieht der Entwurf ausschließlich Verschärfungen und Erweiterungen vor und gibt eine lediglich kurze Umsetzungsfrist von nur 12 Monaten vor.


Dr. Christian Piovano ist Syndikusrechtsanwalt bei ZF Friedrichshafen AG und Rechtsanwalt. Seine Themenschwerpunkte sind internationale Produkthaftung, Produktsicherheit und Product Compliance. Der Autor wird einen Einführungsband zur Produkthaftungsrichtlinie herausgeben, der im Nomos Verlag erscheinen wird.