Die neue EU-Maschinenverordnung – ein Überblick zur Reform des Maschinenrechts

07.09.2023

Die neue EU-Maschinenverordnung – ein Überblick zur Reform des Maschinenrechts

Ein Gastbeitrag von Dr. Carsten Schucht zur neuen EU-Maschinenverordnung

Beitrag von Dr. Carsten Schucht

Handlungsbedarf für den Maschinen- und Anlagenbau aufgrund neuer Technologien

Seit dem Erlass der EG-Maschinenrichtlinie im Jahr 2006 ist viel passiert: Die Fähigkeit von Maschinen, zu lernen, autonomer zu werden oder Informationen in Echtzeit zu verarbeiten einerseits sowie neue Formen der Beweglichkeit und Entwicklungen im Bereich der Sensorsysteme andererseits sind neue Herausforderungen für die Maschinensicherheit. Aus diesem Grund wurde es Zeit für den Erlass der Verordnung (EU) 2023/1230 und damit für die neue EU-Maschinenverordnung (MVO), zumal sich in der Zwischenzeit auch das europäische Produktsicherheitsrecht signifikant weiterentwickelt hat.

Anwendungsbereich

Der Anwendungsbereich der EU-Maschinenverordnung wurde kaum angefasst: Im Zentrum stehen daher weiterhin die (vollständigen und unvollständigen) Maschinen. Auswechselbare Ausrüstungen, Sicherheitsbauteile, Lastaufnahmemittel, Ketten, Seile und Gurte sowie abnehmbare Gelenkwellen werden nunmehr zwar als dazugehörige Produkte bezeichnet, werden aber (weiterhin) demselben Regelwerk wie vollständige Maschinen unterworfen.

Wesentliche Veränderung

Die praxisrelevante wesentliche Veränderung einer (vollständigen!) Maschine oder eines dazugehörigen Produkts wird erstmals definiert (Art. 3 Nr. 16 MVO). Eine wesentliche Veränderung kann dabei auch eine digitale Änderung sein. Sie muss in jedem Fall die Sicherheit der Maschine beeinträchtigen, was wiederum dazu führt, dass entweder Schutzeinrichtungen ergänzt oder zusätzliche Schutzmaßnahmen z.B. zur Stabilisierung der Maschine ergriffen werden müssen.

Wer eine Maschine oder ein dazugehöriges Produkt wesentlich verändert, wird gemäß Art. 18 Abs. 1 MVO zum Hersteller und muss die Herstellerpflichten aus Art. 10 MVO erfüllen.

Pflichten der Wirtschaftsakteure

Erstmals werden gesonderte Pflichten der Wirtschaftsakteure in Bezug auf Maschinen aus der Taufe gehoben, wobei der Fulfilment-Dienstleister ausdrücklich kein Wirtschaftsakteur ist. Außer beim Bevollmächtigten gibt es jeweils zwei Normen, die sich – freilich ohne allzu große Unterschiede – zum einen auf vollständige Maschinen und dazugehörige Produkte und zum anderen auf unvollständige Maschine beziehen. Damit werden etwa die bekannten formellen Prüfpflichten der Einführer und Händler ebenso wie ausdrückliche behördliche Melde- und Notifikationspflichten der Hersteller, Einführer und Händler bei gefährlichen (auch unvollständigen) Maschinen zu beachten sein. Bei der Hersteller- und Einführerkennzeichnung wird zukünftig auch eine E-Mail-Adresse anzugeben sein.

Praktisch wichtig ist sicher die Anerkennung der digitalen Betriebsanleitung im Bereich der technischen Arbeitsmittel (B2B), die jedoch an die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen gekoppelt ist (Art. 10 Abs. 7 MVO). Bei den Verbraucherprodukten (B2C) gilt weiterhin das Erfordernis der Papierform.

GSA, KI und Cybersecurity

Die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen (GSA) sind zwar von Anhang I in Anhang III der MVO gewandert, wurden aber nur behutsam fortentwickelt, insbesondere unter den Aspekten der künstlichen Intelligenz (KI) und Cybersecurity.

Die KI spielt zukünftig insbesondere dort eine Rolle, wo von „selbstentwickelndem Verhalten“ die Rede ist. So sind etwaige Gefährdungen aus just diesem Verhalten zukünftig expliziter Gegenstand der Risikobeurteilung. Was sodann die Cybersecurity anbelangt, muss insbesondere „Schutz gegen Korrumpierung“ gewährleistet werden, und zwar mit Blick auf bestimmte Hardware-Bauteile, Software und Daten. Cybersecurity wird vor diesem Hintergrund als genuine Herstellerpflicht adressiert, die namentlich auch bei vorsätzlichen (Hacker-)Angriffen Dritter erfüllt werden muss (Nr. 1.1.9 des Anhangs III der MVO). Nichts anderes gilt für die „Sicherheit und Zuverlässigkeit von Steuerungen“ (Nr. 1.2.1 des Anhangs III der MVO).

Ausblick

Auch wenn die wichtigsten Bestimmungen für die Wirtschaft erst ab dem 20.1.2027 gelten werden, tut jeder Maschinenbauer gut daran, die Befassung mit dem neuen Maschinenrecht nicht auf die lange Bank zu schieben, und zwar insbesondere mit Blick auf KI und Cybersecurity.


Der Autor ist Rechtsanwalt in der Produktkanzlei in Berlin. Er ist auf das Produktsicherheits- und Produkthaftungsrecht spezialisiert und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Produktrecht. Als Industrieanwalt berät er in marktüberwachungsbehördlichen Verfahren, bei der Abwehr produkthaftungsrechtlicher Ansprüche, bei weltweiten Produktrückrufen und allen Fragen der Product Compliance.

Dr. Carsten Schucht wird gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Gerhard Wiebe zeitnah einen Kommentar zur EU-Produktsicherheitsverordnung (GPSR) herausgeben sowie einen Einführungsband zur GPSR verfassen, die beide Ende 2023 bzw. Anfang 2024 im Nomos Verlag erscheinen werden.