Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten

26.11.2025

Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten

Zu sehen ist der Header zum Thema Product Compliance, auf welchem die Autorinnen Hensel Isabell und Mittwoch Anne abgebildet sind. Der Header ist grün und im Hintergrund ist ein Maßband zu sehen.

von Prof. Dr. Isabell Hensel und Prof. Dr. Anne-Christin Mittwoch

Globalisierungsprozesse der Wirtschaft sind im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit von hoher Ambivalenz geprägt. Einerseits haben transnationale Lieferketten Erwerbschancen und ökonomische Handlungsspielräume für Frauen weltweit deutlich erweitert – heute sind rund 190 Mio. Frauen in globalen Wertschöpfungsstrukturen beschäftigt. Andererseits gehen diese Entwicklungen mit erheblichen Risiken struktureller Benachteiligung einher. Frauen sind in besonderer Weise von Diskriminierung, Ausbeutung und geschlechtsbezogener Gewalt betroffen und tragen zugleich überproportional die Folgen unternehmensverantworteter Umweltzerstörungen und des Klimawandels.
 
Die unionsrechtliche Infrastruktur zur Förderung unternehmerischer Nachhaltigkeit greift Fragen der Geschlechtergerechtigkeit nur punktuell und häufig mittelbar auf. Zugleich stellen sich erhebliche Herausforderungen in Bezug auf die praktische Durchsetzung bestehender Vorgaben. Damit eröffnet sich ein Spannungsfeld zwischen ökonomischen Dynamiken, geschlechtsspezifischen Ungleichheitsstrukturen sowie der normativen Zielsetzung nachhaltiger Unternehmensverantwortung.

CSDDD: Wichtiger Rahmen mit strukturellen Lücken

Die Corporate Sustainability Due Diligence Directive verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten über die gesamte Lieferkette hinweg. Betroffen sind aber nur große Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden und einem weltweiten Nettoumsatz von über 450 Mio. Euro – die Omnibus-Initiative wird den Adressatenkreis deutlich reduzieren. KMU sind ausgenommen – selbst dann, wenn sie in Risikobranchen wie der Landwirtschaft oder in der Textilindustrie tätig sind. Weil dort überwiegend Frauen arbeiten, entstehen erhebliche Schutzlücken.

EUDR: Offene Regelungsstruktur als strategischer Ansatzpunkt

Die EU-Entwaldungsverordnung enthält keine geschlechterspezifischen Normen. Sie verpflichtet Unternehmen jedoch zur Einhaltung einer risikobasierten Sorgfaltspflicht zur Vermeidung von Entwaldung und Waldschädigung in ihren Lieferketten. Dadurch öffnen sich Interpretationsspielräume für eine geschlechtersensible Anwendung. So können z.B. Landrechtskonflikte, die Frauen in ländlichen Gemeinschaften oft besonders betreffen, in Risikoanalysen und Entscheidungsprozesse integriert werden.

Durchsetzungsinstrumente zur Stärkung von Frauenrechten

CSDDD und EUDR schaffen Hebel, um Geschlechtergerechtigkeit in transnationalen Lieferketten durchzusetzen. Wichtig sind insbesondere:

  • Betroffene Frauen und deren Vertreter:innen haben Zugang zu unternehmensinternen Beschwerdeverfahren. Der Schutz vor Repressionen, die Pflicht zur Vertraulichkeit und der breite Adressat:innenkreis machen dieses Instrument besonders relevant für Frauen in informellen oder prekären Beschäftigungsverhältnissen.
  • Unternehmen müssen relevante Stakeholder in zentrale Sorgfaltspflichtprozesse einbinden. Dies erlaubt eine aktive Gestaltung unternehmensinterner Prozesse im Sinne geschlechtergerechter Standards.
  • Zivilrechtliche Haftung, öffentlich-rechtliche Sanktionen und Berichtspflichten bieten Betroffenen und zivilgesellschaftlichen Akteuren konkrete Durchsetzungsmöglichkeiten, Rechtsverletzungen zu ahnden und sichtbar zu machen.

Die Rolle der NGOs: Umsetzung durch strategische Interventionen

Die transformative Wirkung von CSDDD und EUDR hängt davon ab, ob zivilgesellschaftliche Akteur:innen deren rechtliche Spielräume aktiv nutzen. Sie beraten und begleiten durch Beschwerden, Musterklagen, juristische Öffentlichkeitsarbeit und Standardsetzung. Dadurch können sie eine geschlechtergerechte Praxis in Unternehmen fördern.

Fazit

CSDDD und EUDR schaffen keinen automatischen Mechanismus zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit, eröffnen aber substanzielle rechtliche Handlungsspielräume. Deren Ausschöpfung setzt informierte und strategisch agierende Akteur:innen voraus, die geschlechterbezogene Ungleichheiten in globalen Lieferketten adressieren und transformative Wirkung entfalten.

 

 

Prof. Dr. Isabell Hensel leitet das Fachgebiet „Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht in der digitalen Gesellschaft“ am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Kassel. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen digitale Arbeit, Wandel von Kollektivierungsprozessen in der Erwerbsarbeit sowie Gleichstellung in der Privatwirtschaft. Sie ist Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht im Deutschen Juristinnenbund und Mitherausgeberin des Zeitschriftenformates „DIAS – Digitales Arbeits- und Sozialrecht“. Zudem ist sie Mitbegründerin und zweite Sprecherin des Kompetenzzentrums für Geschlechterforschung in der Transformation an der Universität Kassel.

 

Prof. Dr. Anne-Christin Mittwoch ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht sowie geschäftsführende Direktorin des Instituts für Wirtschaftsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie ist Of Counsel bei der Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen sowie Leiterin des Research Institute for Sustainable Economic Law (RISE). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht, der unternehmensrechtlichen Nachhaltigkeitsforschung sowie der Digitalisierung der Wirtschaft. Ihr gemeinsames Werk Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten – 978-3-7560-3517-5 | Nomos erscheint demnächst im Nomos Verlag in der Reihe „Schriften zur Gleichstellung“. Der Titel erscheint auch Open Access.