Kartellrecht in der Sportschiedsgerichtsbarkeit

25.01.2023

Kartellrecht in der Sportschiedsgerichtsbarkeit

Heermann_Sportrecht_Artikel

Beitrag von Prof. Dr. Peter W. Heermann, LL.M. (Univ. of Wisc.)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jüngst festgestellt, dass Schiedssprüche im Hinblick auf die Anwendung der §§ 19 bis 21 GWB in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer uneingeschränkten Kontrolle durch ordentliche Gerichte unterliegen (Beschluss vom 27.9.2022, Az. KZB 75/21).

Praktische Bedeutung für die (Sport-)Schiedsgerichtsbarkeit

Der BGH hat damit zu der bislang höchst umstrittenen Frage der Prüfungsintensität hinsichtlich der kartellrechtlichen Erwägungen eines (Sport-)Schiedsgerichts in anschließenden Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren vor staatlichen Gerichten klar Stellung bezogen. Den verbreiteten Bestrebungen, staatlichen Gerichten insoweit nur eine mehr oder weniger stark eingeschränkte Prüfungskompetenz zu einzuräumen, hat der Kartellsenat die Rote Karte gezeigt. Die Entscheidung bezieht sich zwar explizit nur auf die Missbrauchstatbestände §§ 19 bis 21 GWB als Bestandteile des deutschen ordre public i.S.d. §§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 b), 1060 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Hierzulande zählen jedoch zudem das Kartellverbot gem. § 1 GWB sowie die entsprechenden Vorschriften des europäischen Kartellrechts (Art. 101, 102 AEUV) zum ordre public. Damit hat man sich nunmehr auch insoweit auf eine uneingeschränkte Kontrolle durch ordentliche Gerichte einzustellen.

Praxisrelevante Folgen

  • Da im Sport die Sensibilisierung für kartellrechtliche Problemkonstellationen in den letzten Jahren erkennbar zugenommen hat, ist die Prognose nicht allzu gewagt, dass künftig Entscheidungen der Sportschiedsgerichte zu kartellrechtlichen Fragen öfter als bisher im Nachgang von staatlichen Gerichten in Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren uneingeschränkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüft werden.
  • Mit der uneingeschränkten Prüfung kartellrechtlicher Fragen durch staatliche Gerichte geht sodann die der Sportschiedsgerichtsbarkeit nicht zustehende Vorlageberechtigung nach Art. 267 AEUV zum EuGH einher. Dieser Umstand ebnet den Weg für neue prozesstaktische Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. bezüglich der 50+1-Regel).
  • Der Beschluss des Kartellsenats am BGH strahlt auch auf die Verbandsgerichtsbarkeit aus, falls deren Entscheidungen von der unterlegenen Partei vor staatlichen Gerichten zur (kartell)rechtlichen Überprüfung gestellt werden. Letztere müssten in solchen Verfahren dann u.a. auch die Gesetzmäßigkeit der Verbandsregelung und/oder -maßnahme untersuchen. Es wäre widersprüchlich, wenn der kartellrechtliche Überprüfungsmaßstab staatlicher Gerichte im Hinblick auf eine verbandsgerichtliche Entscheidung weniger umfassend wäre als hinsichtlich einer schiedsgerichtlichen Entscheidung (argumentum a fortiori). Indes werden kartellrechtliche Fragen vor Verbandsgerichten bei primär sportbezogenen Sachverhalten ohne wirtschaftliche Auswirkungen und/oder mangels Sensibilisierung der beteiligten Parteien und Berater für das Kartellrecht eher selten auftreten.
  • Der Beschluss des BGH wirkt sich nicht auf Schiedssprüche des in der Schweiz ansässigen Court of Arbitration for Sport aus. Zudem können dessen Entscheidungen zwar vom Schweizerischen Bundesgericht in Berufungsverfahren (dies entspricht dem deutschen Aufhebungsverfahren vor staatlichen Gerichten) überprüft werden. Allerdings gehört das Kartellrecht in der Schweiz gerade nicht zum ordre public.

Prof. Dr. Peter W. Heermann, LL.M. (Univ. of Wisc.), ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung und Sportrecht an der Universität Bayreuth sowie wissenschaftlicher Leiter des berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengangs „LL.M. Sportrecht (Universität Bayreuth)“. Er hat im Jahr 2022 in der Nomos-Schriftenreihe „Neue Schriften zum Zivilrecht“ im Open Access Band 12 mit dem Titel „Verbandsautonomie im Sport – Bestimmung der rechtlichen Grenzen unter besonderer Berücksichtigung des europäischen Kartellrechts“ veröffentlicht. Eine ausführliche Anmerkung zum BGH-Beschluss von Herrn Prof. Heermann ist in der aktuellen SpuRt (2023, 53 f.) zu finden.