Die Causa Claudia Pechstein und kein Ende

15.03.2023

Die Causa Claudia Pechstein und kein Ende

Gastbeitrag von Dr. Lehner für den Praxis-Newsletter zum Sportrecht

Beitrag von Dr. Michael Lehner

Die auf den ersten Blick unspektakuläre Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 3.6.2022 (1 BvR 2103/16), welche das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7.6.2016 (KZR 6/15) kassierte, dürfte ein tiefes Durchatmen beim Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne ausgelöst haben. Die allein mit der Verletzung des in Art. 6 EMRK verankerten Grundsatzes der Öffentlichkeit begründete Entscheidung benötigte eine Klärung der strittigen Unabhängigkeit des CAS nicht. Zurückverwiesen an das Oberlandesgericht München, geht es jetzt dort nur noch um die Höhe des geltend gemachten Schadenersatzanspruches.

Ein „weiter so“ für den Leistungssport unter dem Schirm der internationalen Sportgerichtsbarkeit?

Dieses Ergebnis war allseits erwartet worden und so von den Regelsetzern des CAS mit einer Änderung des zur Zeit des angeblichen Dopingverstoßes von Claudia Pechstein gültigen Prozessreglements vorweggenommen worden. Doch bedeutet diese Entscheidung tatsächlich ein „weiter so“ der Unterwerfung der Athletinnen und Athleten unter das CAS-Reglement unter Ausschluss der nationalstaatlichen Gerichtsbarkeiten? Wird das Schweizer Bundesgericht, das schon in der Vergangenheit Angriffe gegen den CAS abgewehrt hat, dies auch weiterhin tun (und sei es nur zur Sicherung des internationalen Gerichtsplatzes für den Sport und der Ansässigkeit der meisten internationalen Sportverbände am schönen Genfer See)?

Tatsächliche Bedeutung der Entscheidung

Ein zweiter, vertiefter Blick auf die verfassungsgerichtliche Entscheidung zeigt, dass dieser Eindruck zu oberflächlich ist. Im Vergleich der – nach der Änderung nunmehr für die Öffentlichkeit geltenden – Vorschriften der Prozessordnung des CAS mit den insoweit tragenden Gründen der Entscheidung des BVerfG dürften die dortigen Vorgaben noch immer nicht erfüllt sein. So obliegt es weiterhin allein dem Vorsitzenden des entscheidenden Panels, ob es zu einer Anhörung und damit auch zu einer Verfahrensöffentlichkeit kommt. Daneben gibt es für die gerade in disziplinarischen Angelegenheiten wichtige Öffentlichkeit durch Anhörung auch nach den Änderungen eine Reihe von Ausnahmen bzw. Ablehnungsgründen, die dem vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 3.6.2022 besonders hervorgehobenen verfassungsrechtlichen Mindeststandard widersprechen.


Daher muss es fast schon blind anmuten, den Warnfinger des BVerfG und die durchaus grundsätzlich zu verstehende Schelte auf die für die Öffentlichkeit geltenden Vorschriften der Prozessordnung des CAS nicht gesehen oder überlesen zu haben. Hätte schon die Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit für eine Aufhebungsentscheidung genügt, rundet das deutsche BVerfG seine Kritik durch Verweis auf die in den Entscheidungsgründen aufgeführte Auffassung zur verfassungsrechtlich gebotenen Auswahl der Sportrichter des CAS auf:


„Auf die weitere Frage, ob ein strukturelles Übergewicht der Verbände insbesondere bei der Benennung der „neutralen“ dritten Schiedsrichterperson ebenfalls gegen den Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, der insoweit über die Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hinausgehen kann (…), kommt es angesichts der Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung wegen mangelnder Öffentlichkeit nicht mehr an. Es gehört jedoch zum Wesen der richterlichen Tätigkeit, dass sie von einem nichtbeteiligten Dritten ausgeübt wird; dies erfordert Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet, dass der Einzelne im konkreten Fall vor einem Richter steht, der diese Voraussetzungen erfüllt …). Diese Grundsätze sind auch bei der Ausgestaltung eines nationalen oder internationalen Schiedsverfahrens zu gewährleisten, das den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen gerecht werden muss, um den Rechtsschutz vor den ordentlichen nationalen Gerichten ausschließen oder einschränken zu können.“

Fazit

Man muss also kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass Athletenvereinbarungen mit einem Schiedszwang zum CAS mit Verweis auf die BVerfG-Entscheidung durch die Instanzgerichte als weiterhin verfassungswidrig und damit als nichtig ausgeurteilt werden. Daher wäre es ebenso vorrausschauend wie wünschenswert, dass die Macherinnen und Macher der Internationalen Sportgerichtsbarkeit die Prozessordnung des CAS endlich mit einer durchgreifenden Änderung der Schiedsrichterauswahl und echter Herstellung der Öffentlichkeit dem – auch europarechtlich geforderten – Rechtsstandard der bundesdeutschen Verfassung anpassen. Bis es soweit ist, sind zumindest deutsche Athletinnen und Athleten gut beraten, wenn sie zur Teilnahme am Sport aufgezwungene Schiedsklauseln nur unter ausdrücklichem Vorbehalt bzw. Hinweis auf deren Nichtigkeit akzeptieren.


Dr. Michael Lehner ist einer der bekanntesten Sportrechtler Deutschlands. Er ist Herausgeber mehrerer Fachbücher im Sportrecht und selbst Funktionär im Weltverband des olympischen Taekwondo wie auch in dessen europäischem Verband. Sein Handkommentar mit dem Titel „Anti-Doping-Gesetz: AntiDopG“ erscheint im Mai 2023 beim Nomos-Verlag.