Neue EU-Spielzeugverordnung: Paradigmenwechsel im Kinderschutz

17.12.2025

Neue EU-Spielzeugverordnung: Paradigmenwechsel im Kinderschutz

Zu sehen ist der Header zum Thema Product Compliance, auf welchem der Autor Sebastian Jokusch abgebildet ist. Der Header ist grün und im Hintergrund ist ein Maßband zu sehen.

von Sebastian Jockusch

Mit der jüngst am 12.12.2025 veröffentlichten neuen europäischen Spielzeugverordnung (EU) 2025/2509 (TSR) legt der EU-Gesetzgeber einen der weitreichendsten Modernisierungsrechtsakte im Produktrecht der vergangenen Jahre vor. Bereits die Erwägungsgründe 1-90 wirken dabei wie ein juristisches Brennglas. Sie machen erkennbar, warum Spielzeug künftig (nur noch) unter einem deutlich strengeren produktsicherheitsrechtlichen Regime in Verkehr gebracht werden darf.

Warum eine neue Spielzeugverordnung? Die systemische Begründung des Gesetzgebers

Die derzeit noch gültige Richtlinie 2009/48/EG (TSD) ist „ein gutes, aber kein ausreichendes Instrument“. Sie scheitert zunehmend an der Realität moderner Lieferketten und der Digitalisierung des Spielzeugs. Der EU-Gesetzgeber begründet die Reform insbesondere mit:
 

  • der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern und der Notwendigkeit eines vorgezogenen Vorsorgeprinzips
  • der Persistenz gefährlicher Spielzeuge im Markt, insbesondere über Online-Plattformen und Importe aus Drittstaaten
  • neuen Risikokategorien, die von erweiterten chemischen bis zu digitalen Gefährdungen reichen

Damit wird deutlich, die TSR ist kein Feintuning, sondern eine Neukalibrierung des Sicherheitsniveaus zugunsten der Kinder, deren Schutz als oberstes Regulierungsziel definiert wurde. Dabei gilt es zu beachten, dass der Geltungsbeginn des dominierenden inhaltlichen Teils erst ab 1.8.2030 gilt, also mit Ablauf von 54 Monaten nach dem Datum des Inkrafttretens festgelegt wurde.

Inhalte

Die TSR steht in erster Linie für eine chemikalienrechtliche Zeitenwende im Spielzeugrecht. Der Gesetzgeber rückt von rein REACH-basierten Regelungen ab und setzt ein eigenständiges, erheblich strengeres Schutzregime. Dies betrifft vor allem die Ausweitung der Verbote von CMR-Stoffen sowie die Integration neuer Stoffklassen (Endokrine Disruptoren, atemwegssensibilisierende Stoffe, Neuro-, Immuno- und Organotoxine). Klar erkennbar ist auch der legislative Wille, bestimmte Bisphenole sowie den bewussten Einsatz persistenter Stoffe, wie PFAS schrittweise vollständig aus dem Spielzeug zu eliminieren. Duftstoffallergene werden für Spielzeug für Kinder unter 36 Monaten faktisch verboten. Behandlungen mit Bioziden werden hingegen nur erlaubt, wenn sie für Kinder toxikologisch unbedenklich sind und nachweislich notwendig sind. Zudem sollten Spielzeuge bestimmten Hygienestandards entsprechen, damit mikrobiologische Risiken oder andere Infektions- oder Kontaminationsrisiken vermieden werden.
 
Für die Praxis heißt das, insbesondere Hersteller sensorisch stimulierender Produkte (Knetmassen, wasserlösliche Spielzeuge, Badezusätze etc.) müssen hier neue Prüfpfade etablieren. Chemikalienrisiken werden zum Compliance-Make-or-Break-Faktor für Hersteller und Importeure. Legislativ stets nötige Sicherheitsbewertungen ohne tiefe chemietoxikologische Betrachtung und Berücksichtigung kumulativer Expositionen („Cocktail-Effekte“) werden künftig nicht mehr ausreichen.
 
Zu diesem Zweck wird der EU-Kommission über Artikel 24 ins Stammbuch geschrieben, praktische Leitlinien zur Durchführung von Sicherheitsbewertungen und zur Erstellung eines digitalen Produktpasses für Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) 12 Monate vor dem Geltungsbeginn zu veröffentlichen. Hier zeigt die bisherige Erfahrung, dass sich die EU-Kommission bisweilen mit ihren nicht rechtsverbindlichen Leitlinien, die jedoch praktisch teils von enormer Relevanz sind, sehr viel Zeit lässt.
 
Dies führt unmittelbar zum nächsten Kernaspekt der Reform: der Einführung des digitalen Produktpasses (DPP), dem Kapitel V der Verordnung gewidmet ist. Der DPP ist künftig zwingend vor dem Inverkehrbringen durch den Hersteller zu erstellen. Über Anhang VI wird nicht nur sein beachtlicher Informationsumfang sichtbar, sondern zugleich deutlich, dass die Ära der papiergebundenen EU-Konformitätserklärung ihrem Ende entgegengeht. Sicherheitsinformationen, Warnhinweise und Gebrauchsanleitungen können zudem fakultativ in den DPP eingebunden werden, ein Gestaltungsspielraum, der in der praktischen Umsetzung durchaus wettbewerbliche Vorteile eröffnen kann.

Kohärenz zu anderen Rechtsakten: Rechtsklarheit statt Regelungskollision

Ob die Spielzeugverordnung im Gefüge des produktrechtlichen Ordnungsrahmens des New Legislative Framework (NLF) – welcher seinerseits derzeit vor einer nötigen grundlegenden Überarbeitung steht – tatsächlich widerspruchsfrei zur Wirkung gelangt, wird sich erst in der praktischen Anwendung erweisen. Schon der bloße Blick auf die rund 30 Verweisfußnoten zu parallel geltenden Vorschriften spricht eine deutliche Sprache. Die unmittelbar geltende europäische Spielzeugverordnung ist in ein dichtes Geflecht an Rechtsakten eingebettet, dass die Wirtschaftsakteure kontinuierlich beobachten, bewerten und synchron erfüllen müssen. Die TSR stellt dabei lediglich einen weiteren Baustein innerhalb eines immer stärker verzahnten Product-Compliance-Systems dar.
 
Zwar konnte der zentrale Gleichlauf zum Zollrecht inzwischen weitgehend hergestellt werden; die Einbindung des Bedarfsgegenständerechts, insbesondere der Regelungen zu Lebensmittelkontaktmaterialien, erschöpft sich hingegen in einem Verweis auf Anhang II. Weitere potenziell einschlägige Regime – etwa EUDR oder PPWR – bleiben unberücksichtigt. Unternehmen sind gut beraten, ihre Product-Compliance-Management-Systeme (PCMS) entsprechend auszurichten und fortlaufend an den jeweils für ihre relevanten Absatzmärkte geltenden regulatorischen Stand anzupassen.

Kritik

Insbesondere Fragen bezüglich der Einklassifizierung von Spielzeug hinsichtlich der Abgrenzung zu Verbraucherprodukten des allgemeinen Produktsicherheitsrecht werden nicht ausreichend beantwortet. Diese führen in der Anwendungspraxis nicht selten zu Auseinandersetzungen mit den Marktaufsichtsbehörden bis hin zu gerichtlichen Entscheidungen. Zwar wurde der sachliche Anwendungsbereich der TSR über Artikel 2 semantisch ergänzt, angesichts der Tragweite dieser Einordnungsentscheidung, wäre es wünschenswert gewesen, die in den von der EU-Kommission und der Expertengruppe für Spielzeugsicherheit über zwei Dekaden erarbeiteten Leitfäden („Guidance on Toy Safety“) legislativ inhaltlich (z.B. über Anhang I) mit einzubeziehen. Die Ergänzung „die keinen Spielwert haben“ für dekorative Gegenstände für festliche Anlässe und Feierlichkeiten bietet potenziellen Zündstoff für weitere Verfahren hinsichtlich einer versteckten nicht unerheblichen Ausweitung des Anwendungsbereiches des Spielzeugrechts bei Grauzonenartikeln und sollte von betroffenen Adressaten sehr sorgfältig ausgelegt werden.

Fazit

Die neue EU-Spielzeugverordnung ist kein Rechtsakt mit revolutionärem Umbruchcharakter, sondern die Festsetzung eines qualitativ neuen Sicherheitsniveaus im Binnenmarkt. Prägend sind verschärfte chemische Beschränkungen, ausgeweitete Verantwortlichkeiten im Online-Handel, eine erheblich vertiefte sicherheitstechnische Bewertungspflicht sowie das durchgehend erkennbare Primat der Kindergesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen. Hier wird nicht „aktualisiert“, sondern das regulatorische Schutzniveau strukturell angehoben.
 
Für Unternehmen bedeutet dies vor allem eines: Product Compliance wird anspruchsvoller und vielschichtiger. Wirtschaftsakteure und Betreiber von Online-Marktplätzen haben künftig ein multikomplexes Geflecht ineinandergreifender Regime parallel zu beachten; die neue Spielzeugverordnung ist dabei lediglich ein Element eines eng verzahnten, zunehmend kohärent gedachten Produktrechtsrahmens. Hersteller, die trotz großzügiger Übergangsfristen frühzeitig auf die neuen Vorgaben umstellen, minimieren das Risiko späterer marktaufsichtsrechtlicher Eingriffe in ihre Lieferketten und reduzieren zugleich potenzielle haftungsrechtliche Folgelasten.

 

 

Sebastian Jockusch Dipl.-Verwaltungswirt (FH), ist Geschäftsführer der fox compliance GmbH, einem Consulting Unternehmen, welches zu Herausforderungen in der Product Compliance Praxis mit Schwerpunkt zu Verbraucherprodukten innerhalb des EU-Binnenmarktes und Europa berät. Ein inhaltlich vertiefender Fachbeitrag zu diesem Themenkomplex erscheint in der Zeitschrift ZfPC – Heft 1/2026.