Minderjährige Fußballprofis – Kinderarbeit statt Talentförderung?

02.05.2024

Minderjährige Fußballprofis – Kinderarbeit statt Talentförderung?

Von Lisa Gerlach

In Deutschland muss jeder Bundesligist ein Leistungszentrum errichten, um den Fußballnachwuchs auszubilden. In der Talentschmiede trainieren die Spieler fast täglich, um ihren Traum vom Fußballprofi wahrwerden zu lassen. Am Ende schafft es nur ein Bruchteil derjenigen, die fast ihre ganze Jugend in einem Nachwuchsleistungszentrum verbracht haben. Um die Talente schon früh an sich zu binden, zahlen die Clubs viel Geld für die Leistung der Spieler – entweder direkt oder getarnt als finanzielle Hilfe für den Umzug der Eltern, als Unterstützung bei der Jobsuche oder durch die Übernahme der Zahnarztkosten. Dass die Spieler dadurch zu „Beschäftigten“ werden und das dadurch anwendbare Jugendarbeitsschutzgesetz der systematischen Talentförderung einen Riegel vorschieben kann, wollen weder die Clubs noch die Behörden wissen. Dabei bewegen sich die Clubs auf dünnem Eis: Es drohen Geldstrafen von bis zu 10 Millionen Euro oder sogar Freiheitsstrafen.

Julian Draxler als Präzedenzfall

Erstmals fand das Thema 2011 durch den „Draxler-Fall“ Beachtung. Der damals 17-Jährige schoss seinen Proficlub Schalke 04 zu später Stunde zum Einzug in das DFB-Pokalhalbfinale. Zu der Zeit war jede Beschäftigung von Minderjährigen nach 20 Uhr verboten. Dieser, laut Aufsichtsbehörde, „unklaren Rechtslage“ hat sich der Gesetzgeber 2021 angenommen und das Nachtarbeitsverbot für Sportler auf 23 Uhr verschoben. Jeder Fußballfan erkennt, dass damit den Clubs nicht geholfen ist. Schließlich wird ein Spiel in der Champions League in der Regel erst nach 23 Uhr abgepfiffen. Hinzu kommen die Ehrenrunde, die Nachbesprechung und das Auslaufen, was das Arbeitsende noch weiter nach hinten verschiebt.

Verbotene Kinderarbeit im deutschen Fußball

Der Hype um den Jugendarbeitsschutz ebbte schnell ab. Stattdessen landen die außergewöhnlichen Leistungen von minderjährigen Spielern in den Schlagzeilen. Ein prominentes Beispiel ist Youssoufa Moukoko, der mit vierzehn Jahren in der A-Jugend und mit sechzehn Jahren in der Profimannschaft von Borussia Dortmund auflief. Was verbandsrechtlich ermöglicht wurde, ist nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz ausnahmslos verboten. Die Tätigkeit war verbotene Kinderarbeit. Schließlich ist jede sportliche Tätigkeit im Rahmen einer Beschäftigung nach geltendem Recht bis zum 15. Lebensjahr verboten. Dasselbe gilt für Jugendliche, die noch der Vollzeitschulpflicht unterliegen, welche je nach Bundesland neun oder zehn Jahre andauert. Dadurch verschiebt sich das Arbeitseinstiegsalter noch weiter nach hinten.

Regelmäßige Verstöße im Junioren- und Frauenfußball

Was im Herrenbereich trotz der Schlagzeilen weiterhin die Ausnahme bleibt, ist im Junioren- und Frauenfußball ein strukturelles Problem. Um konkurrenzfähig zu bleiben, statten Fußballclubs ihre Spieler teilweise schon ab dreizehn Jahren mit Förderverträgen und großzügiger Vergütung aus, wodurch aus dem Hobby schnell eine Beschäftigung wird. Dasselbe gilt für den Frauenfußball, in dem die Spielerinnen nach der B-Jugend direkt in die Frauenmannschaften einsortiert werden, da es keine A-Jugend für Mädchen gibt. Neben dem Kinderarbeits- und Nachtarbeitsverbot gibt es strenge Arbeitszeitvorschriften, Anzeigepflichten und weitere Regelungen, die bei strenger Durchsetzung die professionelle Talentförderung unmöglich machen würden.

EU-Richtlinie als Lichtblick

Da die Anpassung des Sports an das Recht aufgrund der vorangeschrittenen Professionalisierung unmöglich ist, müssen die Fußballclubs auf eine Reaktion des deutschen Gesetzgebers hoffen. Schließlich lässt die Richtlinie 94/33/EG großflächig Ausnahmen für den Sport zu, die im JArbSchG bisher nicht implementiert wurden.

 

 

Lisa Gerlach ist Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Matthias Jacobs (Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Zivilprozessrecht) an der Bucerius Law School in Hamburg (https://www.law-school.de/profil/lisa-gerlach). Ihre Dissertation mit dem Titel „Minderjährige Fußballprofis – Die deutsche Talentförderung auf dem Prüfstand des Jugendarbeitsschutzgesetzes“ erscheint in Kürze im Nomos-Verlag.